Die Leiden des jungen Heath Ledgers (Tragödie eines wahrhaftigen Künstlers)
von Christine Klein

Es gibt keine Zukunft für und mit Heath Ledger, keine Möglichkeit mehr, ihn in einem neuen Film, in einer neuen Rolle zu erleben. Es war noch so viel von diesem jungen, äußerst talentierten und interessanten Darsteller zu erwarten gewesen. Jetzt bleibt einem nichts anderes übrig, als Konserven aufzuwärmen. Die Ära „Heath Ledger“ ist zu Ende und sie hätte noch Jahrzehnte weitergehen können. Es wird im Sommer nur noch die Batman-Verfilmung „The Dark Knight“ geben, mit einem bis zur Unkenntlichkeit entstellten Heath Ledger als abgrundtief bösen Psychopathen Joker, für Co-Star Michael Caine eine der furchterregendsten Darstellungen, die er je gesehen hat. Heath hat sich in die Rolle gestürzt wie immer, mit Leib und Seele, Hals über Kopf, radikal, exzessiv. Er ist nicht mehr zur Ruhe gekommen, auch nicht mit Schlaftabletten und Valium. Seine letzte Rolle war für ihn sicherlich eine Traumrolle gewesen: als Theaterschauspieler in „The Imaginarium of Doctor Parnassus“. Der Traum ist aus, die Dreharbeiten abgebrochen. Heath Ledger gibt es nicht mehr. Und es wird nie mehr einen solchen Schauspieler geben.

Ich habe ihn das erste Mal in dem Kriegsdrama „Die 4 Federn“ gesehen, ohne jemals vorher seinen Namen gehört zu haben. Niemand hatte mich also darüber aufgeklärt, dass in diesem Film der Hollywood-Star Heath Ledger mitspielt. Ich sah ihn und war von Anfang an fasziniert von ihm, nicht nur von seiner außerordentlichen, sinnlichen Schönheit, sondern noch mehr von der Intensität seines schauspielerischen Ausdrucks, auch im Nonverbalen. Er spielte die Rolle von innen heraus, als wäre er wirklich der junge britische Offizier, der aus Angst vor seinem Kriegseinsatz den Dienst quittiert und von der Verachtung ihm nahestehender Menschen sowie von seinen Selbstzweifeln gequält wird. Was im Innern des jungen Mannes vorging, war in seinem Gesicht abzulesen, nicht vordergründig, aufgesetzt, ausdrücklich gespielt, wie es besonders bei amerikanischen Schauspielern oft der Fall ist, sondern so natürlich, dass ich es nicht als Schauspiel empfand. Erst später erfuhr ich, das Heath Ledger kein Unbekannter war und jeder weitere seiner Filme (ich kenne alle) verstärkte meine Wertschätzung für diesen außergewöhnlichen Künstler. Er hinterlässt eine nicht zu füllende Lücke, dieser warmherzige Good Boy, der die Hölle kannte und in seinen Rollen durchlebte, extrem bis zur Schmerzgrenze.

Bei Heath kamen so viele gute Eigenschaften zusammen: eine sehr anziehende äußere Erscheinung (Gesicht, Körper, Bewegungen, Stimme), riesiges Talent, Power, Sexappeal, Begeisterungsfähigkeit, Souveränität, außerordentliche Lernfähigkeit, selbstverständliche Männlichkeit, Feuer, ein aus seiner musikalischen Begabung entspringendes sicheres Gespür für Betonungen und das richtige Timing, für den Fokus im mimischen, stimmlichen und gestischen Ausdruck, Lässigkeit und enorme Spannungsfähigkeit, Zurückhaltung und Leidenschaft, Schüchternheit und Waghalsigkeit, Beziehungsfähigkeit und Unabhängigkeit, Einfühlungsvermögen und maskuline Härte, Selbstbeherrschung und Zügellosigkeit, Humor und Ernsthaftigkeit, Intelligenz und Intuition, jugendlicher Überschwang und die Reife eines 50-Jährigen, starke Emotionen und abgeklärter Durchblick, explosive Spritzigkeit und Nachdenklichkeit, selbstkritische Einstellung und draufgängerischer Mut, Liebenswürdigkeit und Unangepasstheit, Bescheidenheit und Ehrgeiz,Lebendigkeit und Verschlossenheit, Sensibilität und Unbeugsamkeit. Das gibt es kein zweites Mal. Wer von seinen berühmten Film-Kollegen kann eine Person so authentisch, lebendig, berührend, schön, natürlich und intensiv, so ganz von innen heraus verkörpern? Keiner kann ihn ersetzen.

Ein Riesentalent ist ausgelöscht. Heath lebte seine Rollen mit Körper und Seele, verleibte sich die darzustellende Person ein und „spielte“ sie aus dem Bauch heraus. Schon in seinen ersten Filmen produzierte er sich nicht wie andere junge Schauspieler. Er zog nie eine Show ab. Trotz seiner enormen Wandlungsfähigkeit war Heath als Person immer erkennbar. Er spielte auch meisterhaft mit seiner wunderbaren, sehr maskulinen Stimme und mit der Sprache, egal ob mit australischem, amerikanischem oder englischem Akzent. Heath hätte auch das Talent zum Popstar oder Musicalstar gehabt. Er konnte fantastisch tanzen und singen, sah aus wie ein Model, ritt wie der Teufel, hatte bei den Dreharbeiten zu „Dogtown Boys“ nebenbei gelernt, wie man Surfbretter herstellt und verfügte über eine artistische Körperbeherrschung. Der breitschultrige Athlet machte die meisten Stunts selber. In „Brokeback Mountain“ z.B. sprang er von einer hohen Klippe ins Wasser (sein Filmpartner ließ sich doubeln). In „Die 4 Federn“ stürzte er von einem galoppierenden Pferd und sprang wieder auf.

Er war ein richtiger Mann, ein echter Kerl mit einem Schuss Süße. Kein Wunder, dass er gut ankam, sowohl bei Teenagern als auch bei reifen Frauen und sogar bei Männern! Aber nur wenige waren richtige Ledger-Fans. Spätestens seit seinem wortkargen, brutalen und hochgradig schizoiden Ennis in Brokeback Mountain, taugte er nicht mehr zum Teenager-Idol. Männer interessierten sich nicht für die Loser, die er darstellte, und welche Frau, außer mir, sieht sich skateboardende Jungenhorden, katholische Okkultthriller oder schräge Horror-Actionfilme an?

Und hiermit kommen wir zu dem zweiten Punkt, der seinen Tod schwer verdaulich macht: Heath Ledger war ein tragischer Held, tragisch, wie viele der Personen, die er verkörperte, eine von Selbstzweifeln gequälte Hochbegabung, eine Art verkanntes Genie. In der Schule wurde ihm von mehreren Lehrern empfohlen, keinen Theater-Kurs sondern einen Koch-Kurs zu belegen, weil sie an seinen schauspielerischen Fähigkeiten zweifelten. Kein guter Start für einen angehenden Künstler! Aber Heath zog schon als Schüler sein Ding durch. Allen Entmutigungen trotzend, stand er schließlich doch auf der Bühne, denn Schauspielen war seine Leidenschaft. Mit 16 ging Heath ohne Schauspielausbildung zum Film nach Sidney. Der attraktive, von Hockey, Tanzen und Surfen durchtrainierte Teenager bekam überraschend schnell ein paar kleine Rollen u.a. als homosexueller Radfahrer und bald sogar eine Serien-Hauptrolle als jugendlicher Held (Roar). Aber die amerikanisch finanzierte Serie floppte und wurde vorzeitig beendet. Heath ging nach Hollywood, fand jedoch keine Arbeit.

Da bekam er ein tolles Angebot aus seiner australischen Heimat, nämlich die Hauptrolle in der Gangster-Tragikomödie „Two Hands“. Jeder, der diesen Film sieht, muss eigentlich erkennen, dass der 19-jährige Hauptdarsteller ein herausragender Künstler ist. Wie er den schüchternen, introvertierten Pechvogel verkörpert, ist einzigartig, berührend und ausgereift. Seit ich diesen Film kenne, sind mir Äußerungen von Leuten, die später meinten, aus dem jungen Schauspieler könnte einmal ein Großer werden, tierisch auf den Keks gegangen. Wer das sagte oder heute noch sagt, kann „Two Hands“ nicht gesehen haben, jedenfalls nicht im australischen Originalton. Heath war damals schon ein Großer, aber das wussten nur einige Australier. Besser als er, kann man die Figur des Losers Jimmy nicht darstellen. Für Heath gilt das, was Kardinal Driscoll in „Sin Eater“ zu seinem Beifahrer sagt, der den von Ledger verkörperten Priester sieht und feststellt: „Er ist noch sehr jung.“ „Aber er hat eine alte Seele“, antwortet Driscoll. Interessanterweise heißt es auch in der Todesanzeige der Familie Ledger: „Du warst die beste, alte Seele in einem jungen Körper.“ Paul Bettany, Heaths Filmpartner in „Ritter aus Leidenschaft“ staunte: „Er ist 21, wirkt aber wie 50.“ Schon mit 19 Jahren war Ledgers Schauspielkunst voll entwickelt, eine Steigerung eigentlich nicht mehr möglich, nur noch das Eintauchen in neue Rollen. Australische Filme sind keine Hollywood-Filme. Sie pflegen in der Welt kaum beachtet zu werden. Was nützte Heath also seine frühe Meisterleistung, obwohl sie ihm eine Nominierung bei den Australian Film Institute Awards einbrachte? Er ging bei der australischen „Oscar-Verleihung“ leider leer aus. Man war offenbar nicht bereit, dem blutigen Anfänger die Auszeichnung zu geben, die er verdient hatte.

Doch dann kam in Hollywood der Durchbruch mit „10 Dinge, die ich an dir hasse“. Heath „durfte“ an der Seite von Julia Stiles spielen und hatte Erfolg. Nun wollte Hollywood ihn als Teenie-Idol in romantischen Komödien vermarkten. Er hätte ein Star werden sollen wie andere hübsche Jungs, z.B. Brad Pitt. Aber Heath war ein hochtalentierter Künstler, der schauspielern wollte. Seine Schönheit, die ihm den Erfolg beschert hatte, wurde für ihn zum hinderlichen Stigma.

Beim Film gibt es nämlich die Einteilung in Stars (z.B. Tom Cruise, Richard Gere, Brad Pitt) und Charakterdarsteller, wie z.B. Robert De Niro und Jack Nicholson. Stars brauchen nur gut aussehen und beim Publikum beliebt sein. Sie müssen sich lediglich an ihre Konsumentengruppe gut verkaufen können. Richard Gere ist das Paradebeispiel eines Stars, der berühmt ist und Hauptrollen in erfolgreichen Filmen spielt, obwohl er eigentlich nicht schauspielern kann. In „I’m not there“, dem Bob-Dylan-Film, in dem er neben Heath und anderen guten Schauspielern mitwirkt, kann man das im Vergleich besonders deutlich erkennen. Mr. Gere hat sich einen Namen gemacht, weil er, als er noch jung und knackig war, mit seinem nackten Hintern vor der Kamera herumgewackelt hat und sich damit erfolgreich als Lustobjekt für Frauen etablieren konnte. Nichts gegen nackte Hintern (Ledgers ist auch einige Male zu sehen), aber bei Richard ist nicht viel mehr drin. Von Charakterdarstellern wird da schon mehr erwartet, nämlich die überzeugende Darstellung von Personen, die möglichst auch von superkritischen Beobachtern, Kritiker genannt, als große Leistung honoriert werden kann. Dies wäre also die passende Kategorie für Heath gewesen. Warum wurde er auch später so gut wie nie als Charakterdarsteller bezeichnet, während Robert de Niro schon früh als solcher anerkannt war und heute noch als einer der besten gilt? De Niro erfüllt eine anscheinend unerlässliche Vorbedingung: Er sieht nicht sonderlich gut aus. Robert ist zwar nicht so hässlich wie Jack Nicholson, der dadurch zum Charakterdarsteller geradezu prädestiniert ist, aber De Niros Aussehen ist unscheinbar genug, um die Zuschauer nicht durch Äußerlichkeiten von der Wahrnehmung seiner Leistung abzulenken. Was sonst noch einen guten Charaktermimen ausmacht, ist unklar. De Niro wird eine besondere Wandlungsfähigkeit zugeschrieben (die allerdings an Ledgers nicht heranreicht), Nicholson jedoch gilt gerade deshalb als ausgezeichneter Charakterdarsteller , weil er immer dasselbe Arschloch spielt. Kann es sein, dass diese Jungs vor allem durch ihre glänzenden Rollen glänzen? Wie dem auch sei, Heath Ledger war ein Charakterdarsteller, im Film der beste, den ich kenne. Aber er war zu schön und zu jung, weshalb er in die Kategorie „Teenie-Star“ einsortiert wurde. Heath ließ sich jedoch nicht verbiegen. Eisern lehnte er alle Angebote ab, obwohl er am Hungertuch nagte und kurz davorstand, alles hinzuschmeißen.

In Hollywood schien der Ofen für ihn ganz aus zu sein, als er das Casting für „Der Patriot“ mit Landsmann Mel Gibson total vermasselte. Mit den Worten: „Sorry, ich verschwende meine und Ihre Zeit“, verließ er die Audition. Zum Glück bekam Heath noch eine zweite Chance. Das Kriegsepos, in dem er völlig unterfordert den edlen Helden und Hauptdarsteller Mel Gibson an die Wand spielt, wurde sein zweiter großer Hollywood-Erfolg, ein dritter folgte: „Ritter aus Leidenschaft“. Als Alexander der Große hätte er wieder groß rauskommen können. Doch Mr. Ledger hatte die Nase voll vom Heldentum. Er wollte sich nicht wiederholen und suchte die Herausforderung. Seine Vorliebe galt Charakteren mit inneren Kämpfen, Verlierern und Außenseitern. Seine folgenden Filme, in denen sich Heath die Seele aus dem Leib spielte (Die 4 Federn, Ned Kelly, Sin Eater, Dogtown Boys, Die Brüder Grimm) wurden Flops, nur nicht der oscar-gekrönte „Monsters Ball“. Einen Oscar bekam Halle Berry, vermutlich weil endlich eine afroamerikanische Hauptdarstellerin einen bekommen musste. Keinen Oscar, nicht einmal eine Nominierung für die beste männliche Nebenrolle, erhielt jedenfalls der beste Schauspieler in diesem Film: Heath Ledger. Es ist geradezu erschütternd, wie er den am Todestrakt-Alltag und an der Lieblosigkeit seiner Umwelt zerbrechenden Gefängniswärter verkörpert, dabei war er nur kurzfristig für seinen Filmpartner aus „Die 4 Federn“ eingesprungen. Der Regisseur Marc Forster staunte über die Ernsthaftigkeit des 23-jährigen: „Er ist unglaublich. Er ist so smart und so intuitiv und so aufmerksam und er versteht wirklich die Rolle und den Charakter.“ Kritiker lobten ihn für seine Leistung, aber bekannter wurde Heath nicht.

Doch dann kam „Brokeback Mountain“, ein Werk, das Filmgeschichte geschrieben hat. Es sah so aus, als würde Heath endlich die Lorbeeren ernten, die ihm gebührten. Für die Rolle als Ennis del Mar wurde er für einen Oscar nominiert, bekam ihn aber nicht. Hollywood verweigerte ihm die verdiente Anerkennung. Aus Heaths Äußerungen war bittere Enttäuschung herauszuhören. Viele der Juroren, die damals dachten, der junge Mann könne noch ein paar Jahre auf seinen Oscar warten, werden sich jetzt vielleicht Vorwürfe machen. Es wäre damals höchste Zeit gewesen, dem besten Hollywood-Schauspieler, an den nicht einmal Marlon Brando, mit dem er oft verglichen wurde, heranreicht, die ihm gebührende Ehre zu geben. Ist es ein Zufall, dass Heath am Tag der Bekanntgabe der Oscar-Nominierungen starb? Hoffentlich ja. „Brokeback Mountain“ war ein umstrittenes Meisterwerk, ein Tabubruch, ein Politikum. Unumstritten war seine Qualität. Der Film brachte Heath Kritikerpreise ein. Aber der Inhalt des oft vorschnell als Schwulenfilm kategorisierten Liebesdramas löste in den USA Wellen der Empörung aus, nicht weil hier homosexuelle Menschen vorkommen (Truman Capote, den Oscar-Gewinner Hoffman darstellte, war auch einer), sondern weil es hier um die heimliche Homosexualität von braven Familienvätern in der konservativ-ländlichen Umgebung des Bible-Belt geht, um Homosexualität in Männerbünden. Im Mormonenstaat Utah durfte der Film nicht gezeigt werden, weil er christliche Wert- und Moralvorstellungen untergrabe. Die katholischen Bischöfe stuften das Kunstwerk in die höchste Gefahrenkategorie ein, da es zu unmoralischem Handeln einlade. Einige Juroren der Oscar-Verleihung sollen es abgelehnt haben, sich den Film anzusehen. Schwule beanstandeten die Heterosexualität von Regisseur und Hauptdarstellern und die brutale Darstellung homosexueller Liebe. Der Film war nicht geeignet, schwule Countrybewohner zum Coming-out zu ermutigen. Heath setzte sich mit der Rolle zwischen alle Stühle. Sein verschlossener, sich alle Mitmenschen auf Distanz haltender, zu Gewaltausbrüchen neigender, homosexueller Ennis taugte absolut nicht als Frauenschwarm, war für Schwule ein homophober Feigling, und die meisten Männer verdauten die Mischung aus Marlboro-Cowboy und sensiblem Schwulen nicht. Das ultra-männliche Genre Western wurde als beschmutzt angesehen. Am Abend der Oscar-Verleihung musste zur Abwehr der beunruhigenden Gefühle, die der subversive Film ausgelöst hatte, der Western durch den schwulen Kakao gezogen und „Brokeback Mountain“ der Stempel der Lächerlichkeit aufgedrückt werden. Heath war nun der schwule Cowboy und wurde in den Interviews ständig gefragt, wie es war, Jake Gyllenhaal zu küssen. Etwas anderes interessierte die Öffentlichkeit nicht.

Verständlicherweise hatte Heath erst einmal die Nase voll von Hollywood. Er redete davon, nach Europa zu gehen, drehte noch „Casanova“, einen Film zu seiner Erholung und zur Klarstellung seiner anscheinend unklar gewordenen sexuellen Orientierung, verkörperte noch einmal mit Herzblut einen Loser im kaum bekannten, weil australischen Drogendrama „Candy“ und zog sich etwa ein Jahr ins Privatleben zurück, als Bilderbuch-Familienvater seiner Tochter Matilda.

In der Bob-Dylan-Biografie schien er die offenbar schmerzhafte Trennung von seiner Lebensgefährtin Michelle Williams im Film verarbeiten zu wollen. Der Kunstfilm „I’m not there“ wird garantiert kein Publikumsrenner, und wenn von ihm die Rede ist, dann im Zusammenhang mit Ledgers brillanter Landsmännin Cate Blanchett, die in ihrer Darstellung tatsächlich am meisten an Bob Dylan erinnert und zu Recht für den Oscar nominiert ist. Hatte Heath zu hoffen gewagt, dass er vielleicht auch …? Jedenfalls hätte er Grund gehabt, gekränkt zu sein. Selten wurde auch nur erwähnt, dass er ebenfalls in dem Film mitspielt. Und bei „Candy“ war fast nur die Rede von seiner Filmpartnerin Abbie Cornish und von Geoffrey Rush, der nur eine Nebenrolle spielt, kaum ein Wort von Heaths berührend realistischer und unbeschreiblich schmerzlicher Darstellung. Und es war ungerecht, dass sogar der von Heath so verehrte Regisseur Terry Gilliam, mit dem er auch seinen letzten Film drehte, sich im Zusammenhang mit „Brothers Grimm“ ausgiebig betonte, was für eine bewundernswerte, weil äußerst mühevolle Leistung es für Matt Damon gewesen sei, eine ihm ungewohnte Rolle zu spielen, während er nur beiläufig erwähnte, dass auch Heath schauspielerisches Neuland betreten habe, allerdings mühelos und intuitiv. Musste die Ehre des etablierten Amerikaners auf diese Weise gerettet werden, weil sein Bruder Grimm wie eine Holzpuppe neben dem prall mit Leben gefüllten, überzwerchen, komischen Kauz und sensiblen Träumer des australischen Außenseiters wirkt?

Es war und ist ungerecht, dass Leute über Heath schreiben, die nur ein paar Filme von ihm kennen und keine Ahnung haben, was für ein Ausnahmetalent er war. Immer noch wird er verkannt. Heath war ein Meister. Das sieht man nicht nur in „Brokeback Mountain“, sondern auch in den vielen Filmen, die weder beim Publikum noch bei den Kritikern gut ankamen. Die Medien nahmen ihn zu wenig zur Kenntnis. Er verausgabte sich psychisch und körperlich in vielen Rollen oder meisterte sie mit souveräner Leichtigkeit, aber wen interessierte seine Kunst? Nicht einmal für die Klatschpresse taugte er. Heath hatte verschiedene skandalfreie Beziehungen, überwiegend mit (oft wesentlich älteren) Schauspielerinnen. So kommt es, dass die meisten Leute, die sich über ihn äußern, nur nachplappern, was andere sagen, selbst kein richtiges Bild von dem zu wenig bekannten Promi haben und dummes Zeug schreiben. In einem Zeitungsartikel wird er als „undurchsichtig“ beschrieben. Logisch, wenn man ihn nicht kennt!

Heath war zu unprätentiös und unangepasst, um ein Star sein zu können, aber zu jung, zu natürlich und zu schön, um als Charakterdarsteller ernstgenommen zu werden. Da halfen auch wüste Bärte, falsche Zähne, Brillengläser, strähnige Haare, schmal geschminkte Lippen und blau verschwollene Augen nichts. Seine Erscheinung war einfach zu wenig durchschnittlich oder unattraktiv. Er hatte eben Star-Appeal. Ein junger, hinreißend schöner und sympathischer Star als bester Charakterdarsteller, das war anscheinend zu viel des Guten für die Öffentlichkeit. Heath passte in keine der üblichen Schubladen. Er saß immer zwischen den Stühlen. Die riesige Fülle und große Bandbreite, die er zu bieten hatte, überforderte das Publikum. Wie schon erwähnt, vereinten sich bei ihm eine Menge Gegensätze. Seine Figuren sind überwiegend Versager und Helden zugleich, komische Käuze, Männer mit viel Innenleben und nur für eine Minderheit zur Identifikation geeignet. Den Frauen waren seine tragischen Kerle nicht verletzlich genug, den Männern zu viel. Und Heath, der verletzliche Loser-Held litt unter quälenden Selbstzweifeln und dem spärlichen Erfolg seiner Filme.

Eine seiner unbekannten Filmrollen, nämlich der Priester Alex Bernier in „Sin Eater“, weist viele Parallelen zu Heath auf, nicht nur die alte Seele in einem jungen, äußerst attraktiven Männerkörper. (Hier durfte Heath unabgeschwächt schön sein. Der verführerischste Priester der Filmgeschichte wurde von dem in ihn vernarrten italienischen Kameramann als Augenweide in Szene gesetzt.) Wie Alex war Heath ein nach Erkenntnis strebender Mensch. Schauspielen bedeutete für ihn, die Welt seiner Rolle und sich selbst zu ergründen. Das war sein Antrieb. Darum liebte er seinen Beruf. Und wie Alex gewann er eine tiefe, schier unerträgliche Erkenntnis über das menschliche Innenleben, indem er andere Leben durchlebte. Wie Alex nicht in die Kirche passte, passte Heath nicht in die Filmwelt, weil er ihre engen Regeln sprengte.

Es gibt auch Parallelen zwischen ihm und Mozart. Wie dieser war Heath Ledger ein frühreifer, herausragender Künstler, der in seinem kurzen Leben zu wenig Anerkennung bekam. Der größte Teil seiner außerordentlichen künstlerischen Leistungen ist dem Filmpublikum nicht bekannt, weil es die Filme nicht sehen wollte. Heath verkaufte sich nicht, blieb sich treu. Er äußerte in einem Interview: „Du musst dich völlig deiner Rolle überlassen, ohne an den Zuschauer zu denken.“ Oft stand der große Schauspieler im Schatten der kleineren. Er spielte sich nie in den Vordergrund. Das stellte auch Mel Gibson fest: „Heath hatte unglaubliche Präsenz, leitete daraus aber keine Ansprüche ab.“ Das kann nicht gut ankommen in einer Welt der Selbstdarsteller und sich prostituierenden Promis. Jetzt, nach seinem Tod, wird Heath Ledger vielleicht berühmt. Jetzt, nachdem er sich in dem Mainstream-Film „The Dark Knight“ jeglicher Schönheit und Liebenswürdigkeit entäußert hat, wird er vielleicht als Charakterdarsteller bekannt, als einer der seinen Joker-Vorgänger Nicholson bei weitem in den Schatten stellt. Vielleicht wird er jetzt endlich, wie von dem Regisseur Todd Haynes („I’m not there“), als „wahrer Künstler, höchst feinfühliger Mann, forschend, begabt und weise weit über sein Alter hinaus“ gewürdigt. Aber was nützt ihm das, jetzt, wo er tot ist? Heath war als Mensch und als Künstler zu wahrhaftig für diese Welt und er verließ sie schockierend wahrhaftig: nackt, einsam, am Boden.

Abschließend möchte ich Ang Lee, den Meisterregisseur von „Brokeback Mountain“ zitieren: „Mit Heath zu arbeiten, war für mich das reinste Glück meines Lebens. Er investierte seinen Wissensdurst, seine Wahrheitsliebe und Lebensfreude in seine Rolle, und eine Verletzlichkeit, für die man ihn einfach lieben musste. Sein Tod bricht mir das Herz.“

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